„Unfertige Gedanken“ zum Gebrauch von typographischen Zeichen in der „geschlechtergerechten“ Sprache

In den am 16.11.2018 beschlossenen „Empfehlungen zur geschlechtergerechten Schreibung“ des Rats für deutsche Rechtschreibung ist zur Verwendung solcher Zeichen (u. a. des Gendersterns) aus meiner Sicht das Wesentliche gesagt; „Schreibenden“ (man beachte den Gebrauch des Part. I in diesem Kontext) wird insbesondere nahegelegt, sich an den in den Empfehlungen genannten sechs Kriterien[1] zu orientieren und stets die unterschiedlichen Funktionen von Texten und die jeweiligen Zielgruppen im Auge zu behalten. Bei meiner derzeitigen Arbeit an einem Projekt zur Geschichte der Germanistik an der Universität Straßburg ist mir einmal mehr bewusst geworden, in welchem Ausmaß gerade auch die Orthographie des Deutschen dem Sprachwandel unterliegt. Speziell im Hinblick auf den Einsatz typographischer Zeichen wurde ich nachdenklich, als ich das Verzeichniss [sic] der Vorlesungen welche an der Kaiser-Wilhelms-Universität Strassburg … gehalten werden für das WS 1879/80 durchsah und darin auf ältere Spielarten der Verwendung des Apostrophs stieß: Den „Herren Studirenden“ [sic] werden darin etwa Vorlesungen mit dem Titel „Einführung in’s Gotische“ [hier als Elisionszeichen] und „Schiller’s Jugenddramen“ angekündigt – was heute manchem als „Deppen-Apostroph“ ein Dorn im Auge ist („Opa’s Lieblingsenkelin“), galt damals noch als völlig korrekte Schreibung.

In Deutschland gibt es bekanntlich keine gesetzliche Regelung für die Schreibweise unserer Sprache. In Frankreich ist die Rechtschreibung, die dort traditionell einen sehr hohen Stellenwert hat, dagegen vom Staat geregelt. Premierminister Philippe untersagte Ende 2017 die weitere Verwendung des sog. „point médian“ (etwa: ‚Mittelpunkt‘, z. B. „tou.te.s“, „candidat.e.s“) in der Amtssprache; darüber berichtete seinerzeit auch die deutsche Presse. In der Folgezeit wurde indessen deutlich, dass diese Anordnung, die alsbald auch an sämtliche Hochschulen ging, viele universitäre Sprachnutzer mitnichten davon abhielt, von diesem typographischen Zeichen als Mittel der „écriture inclusive“ (etwa: geschlechtergerechte Schreibung) auch weiterhin Gebrauch zu machen, weil sie es offensichtlich für zweckmäßig hielten. Ebenso wenig scheint die systematische Verwendung des ‚Mittelpunkts‘ in manchen Zeitungen und Zeitschriften deren Leser zu stören. Und dass die Anordnung im öffentlichen Dienst von vielen Schreibenden nicht befolgt wird, stört allem Anschein nach nicht einmal die zuständigen Behörden. Ob sich dieser „point médian“ nun langfristig im geschriebenen Französischen hält oder aber wieder verschwindet, wird letztlich wohl der Sprachgebrauch entscheiden. Und was die typographischen Zeichen angeht, mit denen derzeit im Deutschen experimentiert wird – der von vielen besonders bekämpfte Asterisk oder der Unterstrich, das Binnen-I und der Schrägstrich – ist denn am Ende nicht auch bei uns der tatsächliche Sprachgebrauch maßgeblich? Übrigens: Auch den Apostroph hat es in unserer Sprache nicht immer gegeben (er wurde vermutlich im 16. oder 17. Jahrhundert ins Deutsche eingeführt) … [2]

Barbara Kaltz (Professeure émérite, Université de Provence, Aix-en-Provence [AMU], Mitglied des WWW)


[1] Siehe www.rechtschreibrat.com/DOX/rfdr_PM_2018-11-16_Geschlechtergerechte_Schreibung

[2] Ausführlich zur Geschichte des Apostrophs im Deutschen vgl. Michael Mann, „Der Apostroph in der Diskussion. Ein Beitrag zur Debatte um ein umstrittenes Zeichen“ (2007); https://opus4.kobv.de…/782/Mann_Der_Apostroph_in_der_Diskussion

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