Im Rahmen der Wittenberger Tagung „dass man deutsch mit ihnen redet“ führte Prof. Walter Krämer mit den beiden Vorsitzenden von „WortWerkWittenberg e.V.“ Gerhard Meiser und Hans-Joachim Solms das nachstehende Interview zu Motiven und Zielen unseres Vereins. Das Interview erschien in den vom Verein Deutsche Sprache herausgegebenen „Sprachnachrichten“.
Walter Krämer ist Professor für Wirtschafts- und Sozialstatistik an der Technischen Universität Dortmund sowie Gründer und Vorsitzender des deutschen Sprachvereins (ca. 36.000 Mitglieder) „Verein Deutsche Sprache“. Daneben ist er Sprecher des Stiftungsvorstands der Stiftung Deutsche Sprache.
1. Herr Meiser, Herr Solms, es gibt ja schon gefühlte sechs Dutzend Sprachvereine in Deutschland. Was war Ihr Motiv für die Begründung eines weiteren?
Ganz einfach: Keine dieser Initiativen rückt den Aspekt in den Vordergrund, der mit dem für die Geschichte der deutschen Sprache zentralen Ort Wittenberg verbunden ist. Die Nennung Wittenbergs schon im Vereinsnamen ist somit Programm. Wir wollen in Wittenberg eine Präsentation zur deutschen Sprache aufbauen, die deren Bedeutung für den Bestand und die Fortentwicklung unserer Gesellschaft in den Mittelpunkt stellt. Diese Präsentation soll ein Ort werden, an dem sich die Menschen mit der deutschen Sprache und ihrer Geschichte auseinandersetzen, sie sollen diese Sprache einerseits als wichtigstes Symbol ihrer nationalkulturellen sowie verfassungspatriotischen Identität als auch als wichtigstes Medium der demokratischen Teilhabe erfahren.
2. Sprache als wichtigstes Symbol der nationalkulturellen Identität als auch als wichtigstes Medium der Demokratie?
Ja was denn sonst! Unsere Sprache erfüllt in unserer Gesellschaft (neben anderen) zwei wichtige Funktionen:
Sie legt fest, wer dazugehört – Deutsch ist (und das ist eigentlich seit Jahrhunderten so) in erster Linie, wer deutsch spricht, nicht, wer seine Abstammung über Generationen auf „deutsche Vorfahren“ zurückführt.
Und sie ist zweitens das entscheidende Instrument der gesellschaftlichen Auseinandersetzung, der Willensbildung und Entscheidung. Schon aus diesem Grunde meinen wir, dass jede Bürgerin und jeder Bürger, der an unserer Demokratie teilhaben will, sich für den Umgang mit unserer Sprache interessieren sollte; deshalb meinen wir, dass besonders auch die Schule einen Bildungsauftrag hat, das Bewusstsein für die partizipatorische Funktion unserer Sprache für diese unsere Gesellschaft zu legen.
3. Und was hat das mit Wittenberg zu tun?
Wer war es denn anders als Luther, der mit seiner kongenialen Bibelübersetzung wesentlich zur nationalen Identitätsstiftung beigetragen hat? Der mit seinem volkssprachlichen Engagement die Grundlagen der radikal befreienden und auf Teilhabe des einzelnen Menschen zielenden Theologie lieferte? Von Luther ging eine weltgeschichtlich wirksam gewordene Bewegung aus, die wie keine zuvor in der europäischen Geschichte die Macht des gesprochenen und geschriebenen Wortes nutzte.
4. Also Luther als einziger Auslöser?
Es gibt andere. Ein ganz unmittelbares und auch als Initialzündung zu verstehendes Vorbild aber gab uns etwa Armenien. Dort sind die eigene Sprache (einschließlich der Schrift!) und Literatur seit jeher Gegenstand einer tiefen Verehrung. Die mag sicherlich auf die vielfältigen Bedrängnisse zurückzuführen sein, denen das armenische Volk in seiner Geschichte ausgesetzt war. Deutschland ist dies zum Glück erspart geblieben – aber auch für alle Deutschen ist ihre Sprache das Symbol, was sie über alle Unterschiede der konfessionellen, regionalen oder ethnischen Herkunft hinweg miteinander verbindet. Wenn wir in diesem Zusammenhang von einer Initialzündung sprechen, so war es tatsächlich das gemeinsame Erlebnis dieser gelebten Buchkultur Armeniens bei einem Besuch des armenischen Zentrums der Buchkultur, des sog. Matenadaran in Yerevan. Wir beide waren so beeindruckt von dem, was man dort erleben kann, dass uns vorschwebte, so etwas auch für unser Land möglich machen zu wollen.
5. Dass deutsche Sprachwissenschaftler sich aktiv für die deutsche Sprache einsetzen, ist ja eher die Ausnahme. Was sagen denn Ihre Kollegen dazu?
Nun, wir denken, dass sich eigentlich alle deutschen Sprachwissenschaftler auch für die deutsche Sprache einsetzen, sie verfolgen dabei nur unterschiedliche und durchaus kontrovers diskutierte Ziele, die Formen des Engagements können auch sehr verschieden sein. Unsere bisherige Erfahrung ist jedenfalls ausnahmslos positiv, wir haben viel Zuspruch für unsere Idee erhalten.
6. Wie stellen sich dem konkret ihre Arbeit für die Stärkung des Deutschen in Wirtschaft und Gesellschaft vor? Ist das überhaupt eine Ihrer Intentionen?
Sprachbewusstsein, wie wir es im Sinne haben, ist nicht denkbar ohne eine besondere emotionale Bindung zur Sprache der Gemeinschaft, der man angehört, eine emotionale Bindung, die für manche durchaus auch eine Liebe sein kann. Diese wollen wir wecken, insbesondere bei jüngeren Menschen – etwa durch die Verbindung von Sprache und (Pop-) Musik, z.B. Deutsch-Rock, Deutsch-Rap usw.
Für das Funktionieren unserer Gesellschaft ist es schließlich unbedingt erforderlich, dass auch Menschen, deren Muttersprache nicht das Deutsche ist, einen (emotionalen) Kontakt zum Deutschen begründen. Auch dies ist ein – im Moment noch zeitlich fernerliegendes – Ziel von WWW.
7. Kommt es Ihnen denn nicht auch so wie mir oft seltsam vor, dass vor allem private Initiativen sich der Deutsche Sprache annehmen (müssen), und der Staat hier eher abwartend oder gleichgültig daneben steht?
Nein, es verwundert uns eigentlich nicht. Denn Sprache entzieht oder besser: sollte sich staatlicher Eingriffe entziehen (ein negatives Beispiel staatlicher Einflussnahme ist die letzte große Rechtschreibreform). Gleichwohl sollten die demokratisch legitimierten Repräsentationsorgane einer auf der Sprache Deutsch basierenden und funktionierenden Gesellschaft ihren Beitrag dazu leisten, dass diese Sprache ganz im Sinne des funktionierenden Gemeinwesens und ganz im Sinne der kulturellen Identität einer großen Mehrheit der dieses Gemeinwesen bildenden Menschen auch gepflegt wird. Sehr ermutigende Ansätze dazu sind u.a. durch die im letzten Jahr verabschiedete Entschließung des deutschen Bundestages gemacht.
8. Herr Meiser, Sie sind „im Hauptberuf“ Indogermanist. Was zeichnet eigentlich die indogermanischen Sprachen im Allgemeinen und die Germanischen Sprachen im Besonderen gegenüber anderen Sprachen aus?
Keine andere Sprachfamilie ist gleichzeitig in solcher geographischen und kulturellen Verbreitung von Indien bis Island einerseits und zeitlicher Tiefe andererseits bezeugt: die ältesten schriftlichen Zeugnisse indogermanischer Sprachen reichen bis in die erste Hälfte des 2. Jahrtausends v.Chr., mithilfe des gut etablierten Verfahrens der Rekonstruktion gelangen wir bis in die Mitte des 4. Jt. v. Chr. – bis an den Rand der Jungsteinzeit („Ötzi-Zeit“ – aber Ötzi sprach wohl eher keine indogermanische Sprache). Die Vielfalt der Sprachen und Texte beschert uns deshalb eine Fülle von Einblicken – nicht nur in die Entwicklung der menschlichen Sprache, sondern auch (soweit sie sich in der Sprache niederschlägt) in die Entwicklung der Vorstellungen des Menschen von sich und der ihn umgebenden Welt.